Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz.

Universität Duisburg-Essen 
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften 
Hausarbeit im Studiengang Sozialwissenschaften 
eingereicht an
Freie Universität Berlin
Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften
Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften
Thema:  Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz.
Hauptseminar:  Soziologie des Verfahrens.
eingereicht von:  Nicolai Grossherr ‹748136›
eingereicht am:  20. April 2009
Betreuer:  Dr. Thomas Scheffer
  
  
 
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Ort: 10965 Berlin 
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Inhaltsverzeichnis
 1 Einleitung………………………………………………………………………………………1
 2 Herleitung……………………………………………………………………………………..2
 2.1.1 Analyse der Klassiker…………………………………………………………2
 2.1.2 Erweiterung durch Betrachtung der Praxis……………………………3
 2.1.3 Folgen für das Verständnis von Verfahren …………………………..6
 2.1.4 Konklusion………………………………………………………………………..9
 2.2 Legitimierende verfahrensmäßige Systeme …………………………………………10
 2.2.1 Legitimation…………………………………………………………………….10
 2.2.2 Zwischenfazit………………………………………………………………….14
 2.2.3 Verfahren als soziales System ………………………………………….15
 2.2.4 Fazit………………………………………………………………………………18
 3 Schlussbetrachtung………………………………………………………………………19
Bibliographie ……………………………………………………………………………….22
  
  
Abkürzungsverzeichnis
     LdV

Legitimation durch Verfahren

Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
 1  Einleitung
Das Ziel dieser Arbeit ist es, aus dem Buch  Legitimation durch Verfahren  von 
Niklas Luhmann mögliche Analyseansätze herauszuarbeiten. Weiterhin handelt es 
sich bei der Arbeit um eine intensive Primärtextstudie, so dass sie sich in ihrer 
Gänze   auf   das   Buch   bezieht.   Der   erste   Schritt   besteht   darin,   Luhmanns 
Argumentation herzuleiten und diese verständlich darzustellen. Im zweiten Schritt 
werden die wichtigsten Punkte seiner Untersuchung herausgearbeitet. 
Zu   Beginn   wird   in   Augenschein   genommen,   was   die   Gründe   für   eine   neue 
Konzeption und Interpretation der Untersuchung von Verfahren sind. Die Gründe 
werden   vor   allem   durch   die   Orientierung   an   klassischen   Konzeptionen   des 
Verfahrens herausgearbeitet. Daraus folgt, dass es notwendig ist, die Praxis von 
Verfahren zu betrachten, um zu einer Neukonzeption zu gelangen. Diese Arbeit 
wird sich allerdings eher an den Ergebnissen der Betrachtung orientieren als an der 
Betrachtung selbst. Dadurch werden sowohl die Gründe für die Neuinterpretation 
erkennbar   als   auch   Folgerungen   einbezogen,   die   sich   daraus   ergeben.   Dabei 
handelt es sich, allgemein gesagt, um die Folgen einer soziologischen Erörterung 
des Verfahrensbegriffs. Über die Untersuchung des Begriffs Legitimation wird zu 
einem Ansatz gelangt, der das Verfahren als soziales System beschreibt. 
Durch   die   Erarbeitung   des   vorab   Beschriebenen   werden   die   grundlegenden 
Erkenntnisse   in   Zusammenhang   gebracht.   Daraus   lassen   sich   weitergehende 
Zusammenhänge   erkennen   und   eigene   Schlussfolgerungen   ziehen.   Letztlich 
kommt es zu einer Einschätzung hinsichtlich der möglichen Verwendung für die 
Analyse von Verfahren.
Nicolai Grossherr
1

Einleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
 2  Herleitung
Die Herleitung seines eigenen Ansatzes nimmt in Luhmann in drei Schritten 
vor. Als erstes geht er auf die bisherigen Theorien über das Verfahren ein. 
Sein   zweiter   Schritt   ist   es,   den   Begriff   der   Legitimation   oder   Legitimität 
näher zu erläutern. Schließlich leitet er daraus seinen eigenen Ansatz ab, 
der das Verfahren als soziales System beschreibt. 
2.1  Konzeption einer Theorie des Verfahrens 
Ausgehend von der Darstellung klassischer Konzeptionen des Verfahrens 
erläutert Luhmann seine eigene Konzeption. Er betont dabei, dass es eine 
Übertreibung   sei,   von  klassischen   Konzeptionen  des   Verfahrens   zu 
sprechen.1 Das begründet er damit, dass „eine angemessene Theorie des 
Verfahrens (…) weder die liberale noch eine andere Richtung des Rechts-  
und   Staatsdenkens   hervorgebracht“2 
hat.   Als   übergeordnete 
Gemeinsamkeit   der   verschiedenen   Ansätze   kann   die   Einschätzung 
verstanden   werden,   dass
 „rechtlich   geordnete   Verfahren   der 
Entscheidungsfindung (…) zu den auffälligsten Merkmalen des politischen  
Systems moderner Gesellschaften [gehören; N.G.]3. Allerdings bleibt dies 
vorerst die einzige offensichtliche Übereinstimmung.
 2.1.1 
Analyse der Klassiker
Luhmann konstatiert, dass die Vielfalt der Ansätze zu groß und die Ansätze 
in sich und unter sich zu unentschieden seien. Auch seien die vorhandenen 
Ansätze nicht hinreichend ausgearbeitet und würden häufig Lücken in der 
1 Luhmann, Niklas: Legitimation durch Verfahren. Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main, 1983, 
S. 11ff.
2 LdV, S. 11
3 LdV, S. 11
Nicolai Grossherr
2

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Beschreibung des Problemfeldes aufweisen.4 
Gewisse   Gemeinsamkeiten   erkennt   er   in   der   Betrachtungsweise   der 
bisherigen Ansätze. Sie weisen, wie er sagt, „eine gewisse Homogenität 
der Vorurteile auf“5.  Diese Vorurteile lassen sich im Großen und Ganzen 
zwei   verschiedenen   Richtungen   zuordnen:   einerseits   den   Rechtslehren 
und   andererseits   den   Wirklichkeitslehren.   Problematisch   ist   bei   beiden 
Richtungen,   dass   sie   sich   als   reine   Lehren   verstehen   und   insofern   der 
jeweils anderen Seite als unzugänglich erscheinen müssen. „Weder reine 
Rechtslehren noch reine Wahrheitslehren können einem Thema gerecht  
werden, das in vorgegebenen Sinnstrukturen und im wirklichen Verhalten  
zwei   Pole   hat,   die   in   Bezug   aufeinander   als   variabel   gedacht   werden  
müssen.6
Unter anderem wegen der Schwierigkeit, dass sich die bisherigen Ansätze 
wegen   ihres   Alleinvertretungsanspruches   gegenseitig   ausschließen, 
schlägt   Luhmann   einen   anderen   Weg   ein.   Den   sieht   er   darin,   sich   der 
Thematik soziologisch zu nähern, mithin eine  „soziologische Theorie des 
Verfahrens“7  zu   erarbeiten,   denn     bisher   bleiben  „die   sozialen 
Verhaltensbedingungen   und   die   Verankerung   des   Verfahrens   in 
umfassenderen,   vorstrukturierten   Systemen   der   Gesellschaft   (…)   im 
Dunkeln.
 2.1.2 
Erweiterung durch Betrachtung der Praxis
Angesichts der Tatsache, dass es für Luhmann keine Verfahrenslehre gibt, 
die als Vorlage für seine Untersuchung dienen könnte, entscheidet er sich 
dafür,   eine   Annäherung     über   die   Betrachtung   verschiedener 
4 LdV, S. 11-12
5 LdV, S. 11
6 LdV, S. 13
7 LdV, S. 12
8 LdV, S. 12
Nicolai Grossherr
3

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Verfahrensarten9  vorzunehmen.10  Er   wählt   zu   diesem   Zweck   drei 
herausragende   Verfahren   des   politischen   Systems,   die   sich   mehr   oder 
weniger durch Dauer und Wichtigkeit auszeichnen und somit   Merkmale 
aufweisen,   die   für   die   Untersuchung   von   Bedeutung   sind.   Aus   der 
Betrachtung dieser drei sehr unterschiedlichen Verfahren leitet Luhmann 
eine  klassische  Konzeption   des  Verfahrens  ab,   obwohl  er   einschränken 
muss,   dass   "es   keine   einheitliche   Verfahrenslehre   als   Vorlage   für   eine  
solche   Untersuchung   gibt   (…)“11.   Er   stellt   jedoch   fest:  „Diese 
Vorüberlegungen   zu   drei   sehr   verschiedenartigen,   rechtlich   geregelten  
Verfahren   lassen   bereits   so   viel   Gemeinsames   erkennen,   daß   die  
Grundlagen der klassischen Konzeption des Verfahrens formuliert werden  
können.12  Seine   Vorgehensweise   ermöglicht   ihm,   die   Definition   der 
klassischen   Konzeption   selber   festzulegen.   Um   das   nachvollziehbar   zu 
machen   ist   es   notwendig,   die   wichtigsten   Erkenntnisse   aus   der 
Betrachtung der Verfahren kurz zu erläutern.
Luhmann   beginnt   damit,  das   Verfahren   der   politischen   Wahl 
nachzuzeichnen.  Ziel dieses Verfahrens sei es, die fähigsten Personen in 
die   entscheidenden   Positionen   innerhalb   der   politischen   Institutionen   zu 
wählen. Sie hätten die Aufgabe, mittels ihres Wissens und Könnens den 
Volkswillen umzusetzen. Dabei sei es notwendig, dass diejenigen, welche 
die Entscheidungen bei der Wahl treffen, die Voraussetzung umfassender 
Informiertheit   und   rationaler   Grundlagen   bezüglich   der 
Entscheidungsfindung erfüllen.13
Ziel dieser Aufzählung der herkömmlich angenommenen Bedingungen für 
das   Verfahren   der   politischen   Wahl   ist   es   für   Luhmann,   die 
Widersprüchlichkeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufzudecken. „Bei 
„(…) das Verfahren der politischen Wahl, das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren und 
den gerichtlichen Prozeß.“ (LdV, S. 13)
10 LdV, S. 13
11 LdV, S. 13
12 LdV, S. 18
13 LdV, S. 13-14
Nicolai Grossherr
4

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
solchen Selbstwidersprüchen in den Leitgedanken der Institution muß allzu  
scharfe   Bewußtheit   korrumpierend   wirken14  Obwohl   die   meisten   der 
Ansprüche empirisch-kausal nicht haltbar sind, zeigt sich deutlich, dass das 
Verfahren  der   Wahl  dennoch   funktioniert.   Die   sich  daran  anschließende 
Frage kann nur lauten: Warum?
Auch hinsichtlich des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens kommt 
Luhmann zu keinem positiveren Schluss. Dieses Verfahren soll dem Zweck 
der   Wahrheit   verpflichtet   sein,   aber   auch   dabei   wird   dieser   Zweck   auf 
vielfältige   Weise   beeinflusst.   Die   Idee   eines   normativ   zu   definierenden 
Zieles   und   der   gleichzeitigen  Beeinflussung   desselben   stehen   im 
Widerspruch zueinander. In Luhmanns Worten: „Auch hier muß die Frage 
kommen, wie dieses Ziel und jene Mittel harmonieren.15 Es muss „(…) der 
Gedanke,   dass   Konkurrenz   der   Meinung   genüge,   um   Wahrheit   zu  
sichern16 überprüft werden.
Bei den gerichtlichen  Verfahren folgert Luhmann, dass dort die Diskrepanz 
zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht derart deutlich zutage tritt, „und 
doch liegt auch hier der Sachverhalt nicht wesentlich anders“17,  was    den 
Bezug   zur     Wahrheit   betrifft.   Gerichtsverfahren   sind  „auf   einen 
Wahrheitswert bezogen, auf ein richtiges Erkennen dessen, was als Recht  
gilt und im Einzelfall rechtens ist.“18  Insofern unterscheidet sich also auch 
das Gerichtsverfahren nicht stark vom Verfahren der politischen Wahl oder 
dem der parlamentarischen Gesetzgebung.
Es   lassen   sich   Elemente   ausmachen,   die   den   drei   exemplarisch 
herangezogenen Verfahren gemeinsam sind: „Es ergibt keine zureichende 
Instruktion  für  den  Entscheidenden,  wenn der  Prozeß dafür eingerichtet 
wird, um der Wahrheit oder des Friedens willen richtige oder unrichtige  
14 LdV, S. 14
15 LdV, S. 15
16 LdV, S. 16
17 LdV, S. 16
18 LdV, S. 17
Nicolai Grossherr
5

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Entscheidungen   zu   erzeugen.“19  Für    Luhmann   ist   der  „Kern   aller 
klassischen   Verfahrenslehren   (…)   der   Bezug   auf   Wahrheit   oder   wahre  
Gerechtigkeit"  20.  In allen diesen Verfahrenslehren habe sich,   obwohl die 
jeweiligen Entscheidungsträger als Verfahrensbeteiligte für gewöhnlich am 
Prozess     beteiligt   sind,  „(…)   die   Idee   einer   von   den   Machthabern 
unabhängigen,   ihnen   entgegen   gehaltenen   Wahrheit   und   Gerechtigkeit  
[verfestigt; N.G.]“21.
 2.1.3 
Folgen für das Verständnis von Verfahren 
Luhmann folgert, dass in den klassischen Konzeptionen von Verfahren die 
Wahrheit   eine   immanente   Rolle   einnimmt.   Er   spricht   dabei   von   der 
zentralen  Stellung des Wahrheitswertes, die historisch zu erklären ist. Im 
selben Atemzug  macht er allerdings deutlich, dass er diese Stellung für 
überbewertet   und   allein   schon   durch   seine   kurzen   Ausführungen   als 
widerlegt erachtet, wobei  insbesondere die vorab unter dem Gesichtspunkt 
der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit erläuterten Punkte zu 
berücksichtigen sind. So sagt Luhmann: „Nach alldem ist schwer zu sehen, 
wie   anders   als   durch   ein   Vorurteil   der  Auffassung   festgehalten   werden  
könnte, daß wahre Erkenntnis und wahre Gerechtigkeit das Ziel und damit  
das Wesen rechtlich geregelter Verfahren seien, und wenn, wie ein solches 
Ziel erreicht werden könnte.22 Damit macht er nochmals deutlich, dass aus 
seiner   Sicht   allein   das   Festhalten   an   dem   Vorurteil,   Verfahren   würden 
Wahrheit erzeugen, die klassischen Konzeptionen diskreditiert, und zwar 
insofern, als diese dadurch ungeeignet seien, die tatsächliche Funktion von 
Verfahren widerzuspiegeln. 
Diese   lässt   sich   vielmehr   aus   einer   anderen,   und   zwar   soziologischen 
Perspektive   heraus   ermitteln.   Dabei   setzt   Luhmann   bei   der 
19 LdV, S. 17
20 LdV, S. 18
21 LdV, S. 19-20
22 LdV, S. 20
Nicolai Grossherr
6

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Ausdifferenzierung von Rollen an, die er schon durch die Erläuterung der in 
der Praxis vorkommenden Verfahren hergeleitet hat.23 Es handelt sich um 
verfahrensspezifische   Rollen,   die   -   im   Gegensatz   zu   allgemeinen, 
gesellschaftlichen Rollen - zu verfahrensspezifischer Kommunikation fähig 
sind. Dadurch werden erstens Kommunikations-möglichkeiten mobilisiert, 
zweitens wird Kommunikation freigesetzt und drittens wird konkurrierende 
Kommunikation   ermöglicht.24  Wobei   auch   das   nicht   gewährleistet,  „dass 
stets Wahrheit gefunden, stets eine richtige Entscheidung getroffen wird.25 
Für Luhmann ist ohnehin fraglich, „ob der Gewinn von Wahrheit überhaupt  
die tragende Funktion rechtlich geregelter Verfahren ist26, da „dem (…) die 
Notwendigkeit des Entscheidens entgegen [steht; N.G.]27. Insofern sieht er 
dann auch das Entscheiden als tragende Funktion des Verfahrens. „Lässt 
man dagegen  von der Voraussetzung ab, daß Verfahren der Entdeckung  
der Wahrheit dienen, gewinnt man die Möglichkeit, ihre Funktion für die 
Legitimierung   des   Entscheidens   unvoreingenommen   in   neuartiger, 
soziologischer Weise zu untersuchen.“28  Zumal die Frage offen bleibt, ob 
das   Herbeiführen   einer   Entscheidung   und   die   Richtigkeit   einer 
Entscheidung   gleichzeitig   und   im   selben   Maße   gewährleistet   werden 
können. 
Unter diesem Gesichtspunkt bleibt fraglich, welche Funktion der Wahrheit 
innerhalb   des   Verfahrens   zukommt.   Hierzu   stellt   Luhmann   fest:  „Was 
Wahrheit   im   sozialen   Verkehr   leistet,   ist   Übertragung   reduzierter 
Komplexität.29  Die   Bedeutung   dieser   Funktion   nimmt   mit   zunehmender 
Steigerung  der   Komplexität  in   den   modernen  Gesellschaften   zu,   da  ein 
höheres   Maß   an   Komplexität   das   Bedürfnis   nach   die   Selektion 
erleichternden   Mechanismen   erhöht.   In   diesem   Zusammenhang   dient 
23 LdV, vgl. S. 20ff.
24 LdV, S. 21
25 LdV, S. 21
26 LdV, S. 22
27 LdV, S. 21
28 LdV, S.23
29 LdV, S.23
Nicolai Grossherr
7

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Wahrheit als Vergleichsmodell, sie wird demnach gewissermaßen zu Rate 
gezogen dadurch, dass sie in der entsprechenden Situation den Rahmen 
der   Beurteilung   zur   Verfügung   stellt.   Das   wiederum   führt   direkt   auf   die 
zweite   Funktion   hin,   und   zwar   auf   die   subjektivierende   Funktion   der 
Wahrheit. Sie und ihre Betrachtung werden als Tätigkeit des Subjekts, als 
rein subjektive Erfahrung wahrgenommen, wobei „in Wahrheitsfragen (…) 
der Mensch als Subjekt engagiert [ist; N.G.], der als Träger des Sinnes der  
Welt   mit   in   Betracht   kommt.30  Letztlich   also   bezieht   sich   der 
Wahrheitsmechanismus   –   nach   neuzeitlicher   Interpretation31  –   auf   die 
menschliche   Subjektivität   und   ist   aus   diesem   Grund   auch   unabdingbar, 
denn  „kein   Verfahren   kann   Wahrheit   in   dieser   spezifischen   Funktion 
missen (…)“32.
„Eine   Theorie   des   Verfahrens   braucht   deshalb   einen   abstrakteren 
funktionalen   Bezugsgesichtspunkt,   der   den   Wahrheitsmechanismus 
einschließt, aber sich in ihm nicht erschöpft.33 Da sich Wahrheit nicht oder 
eben nicht allein als Bezugspunkt  eignet, stellt sich Luhmann die Frage, 
was dafür in Frage käme oder um was Wahrheit ergänzt werden müsste. 
Hierbei hat er den Mechanismus der Macht im Auge, sie erscheint ihm als 
notwendige   Selektionsleistung   zur   Herbeiführung   von   Entscheidungen. 
„Wer   Macht   besitzt,   kann   andere   motivieren,   seine   Entscheidungen   als  
Verhaltensprämisse   zu   übernehmen,   also   eine   Selektion   aus   einem  
Bereich möglicher Verhaltensalternativen als bindend zu akzeptieren.34 Im 
Gegensatz   zum   Wahrheitsmechanismus   muss   der   Machtmechanismus 
begründbar   sein   –   einerseits   gegenüber   sich   selbst   und   andererseits 
gegenüber   anderen,   zumeist   gehen   diesen   beiden   Schritte   ohnehin 
einher.35 Insofern beinhaltet der  Machtmechanismus einen intersubjektiven 
30 LdV, S. 24
31 LdV, vgl. S. 24f.
32 LdV, S. 24
33 LdV, S. 25
34 LdV, S. 25
35 Hierzu ist insb. Fußnote 25 auf Seite 25 zu beachten.
Nicolai Grossherr
8

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Aspekt, da er – im Gegensatz zur Wahrheit – den Austausch der Subjekte 
anregt   und   fördert.   Das   erleichtert   die   intersubjektive   Kommunikation 
reduzierter   Komplexität.   Zugleich   wird   damit   die  Frage   nach   der 
Legitimation   von   Macht   aufgeworfen,   nach   der   legitimen   Macht,   um   zu 
entscheiden. 
 2.1.4 
Konklusion
Luhmanns   Kritik   an   den   klassischen   Verfahrenskonzeptionen   liegt 
hauptsächlich darin begründet, dass diese die Problematik des Erzeugens 
von Entscheidungen zu eindimensional auf die Wahrheit gerichtet sahen. 
Das ermöglicht zwar  Kommunikation, aber Kommunikation allein garantiert 
noch keine Entscheidung.  Einerseits ist dadurch nicht sichergestellt, dass 
die   Möglichkeiten   zur   Kommunikation   tatsächlich   auch   genutzt   werden, 
andererseits erklärt kommunizieren um der Wahrheit willen noch nicht, wie 
es daraus letztlich zu Entscheidungen kommt. 
Die zu starke Fokussierung auf das Normative ist das Hauptproblem der 
klassischen   Interpretationen,   zumal   sie   nicht   erklären   können,   wie   eine 
normative Perspektive immer im jeweiligen Einzelfall erreicht werden kann. 
Gerade   die   Wiederholbarkeit,   die   dauernde   Verwendbarkeit   ist   bei   den 
klassischen   Verfahrenskonzeptionen   in   Zweifel   zu   ziehen,   denen 
außerdem zu eigen ist, dass sie die soziale Komponente des Entscheidens 
missachten oder zumindest gering schätzen.
Allerdings klammert Luhmann die Wahrheit nicht vollkommen aus seinen 
Betrachtungen   aus,   vielmehr   geht   es   ihm   darum,   sie   nach   ihrer   seines 
Erachtens   richtigen und wichtigen Funktion einzuordnen: der Reduktion 
von Komplexität und damit einhergehend der Subjektivität von Erfahrungen 
des   Individuums.   Unter   Berücksichtigung   dieser   Erkenntnisse   wird   es 
verständlicher   wie   Entscheidungen     zustande   kommen.   Zur   weiteren 
Verständlichkeit ist noch der Faktor der Macht zu berücksichtigen, dem die 
Problematik der Legitimität intrinsisch innewohnt.
Nicolai Grossherr
9

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
 2.2 Legitimierende verfahrensmäßige Systeme 
Der von Luhmann soziologisch fortentwickelte Ansatz zur Konzeption von 
Verfahren   ist   keineswegs   abgeschlossen.   Mit   der   Problematik   der 
Legitimität hat sich ein nicht zu ignorierender Bereich aufgetan, wobei im 
Anschluss an dessen Erörterung zu klären bleibt, wie er sich mit den bisher 
erarbeiteten   Neuerungen   vereinbaren   lässt.   Damit   wird   das   komplexe 
Gebilde   der   Legitimation   noch   eingehender   hinsichtlich   seiner 
soziologischen Perspektive betrachtet und beschrieben, besonders durch 
die Beschreibung des Verfahrens als soziales System.
 2.2.1 
Legitimation
Die Legitimation von Macht lässt sich historisch herleiten. Dabei sind vor 
allem  zwei Punkte hervorzuheben: Konsens und Zwang.36 „Beides, Zwang 
und   Konsens,   muß   also   in   irgendeinem   Mischungsverhältnis   gegeben 
sein.37  Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei beiden um knappe 
Ressourcen handelt, die erst einmal vorhanden sein oder generiert werden 
müssen.   Sind   sie   vorhanden,   wird   damit   aber   noch   nicht   ihre   Funktion 
erklärt.  „Ihre bloße Addition dürfte nicht ausreichen und vermag auch die 
Institutionalisierung   der   Legitimität   nicht   zu  erklären.38  Besonders   die 
Frage   nach   dem  Warum,   also   nach   den   Gründen,   aus   denen   heraus 
Menschen  bereit   sind,   Entscheidungen,  die   im   Konsens  und/oder  durch 
Zwang   durchgesetzt   werden,     tatsächlich   zu   akzeptieren,   bleibt   oft 
ungeklärt. Dabei ist zu beachten, dass das Akzeptieren nicht, wie im Fall 
der Wahrheit, frei von Motiven sein darf, da sonst die Annahme, Wahrheit 
müsse als Erklärungsansatz durch Akzeptanz ersetzt werden, wenig Sinn 
hätte. 
36 Luhmann geht dabei davon aus, dass die Vorstellung, Zwang alleine genüge, sich überholt hat 
und dass auch die Vorstellung es ließe sich immer Konsens erzeugen, nicht der Realität 
entspricht. (vgl. S. 27f.)
37 LdV, S. 28
38 LdV, S. 28
Nicolai Grossherr
10

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
In einer ersten Vorabdefinition kann man „(…) Legitimität auffassen als eine 
generalisierte   Bereitschaft,   inhaltlich   noch   unbestimmte   Entscheidungen 
innerhalb   gewisser   Toleranzgrenzen   hinzunehmen39,   auch   wenn   die 
Gründe dafür, dass solche Entscheidungen als legitim akzeptiert werden, 
unklar sind. Offensichtlich jedoch ist, dass es solche Mechanismen gibt, da 
auch   unvollkommene   Entscheidungsfindungen   durchaus   zu   mehr   oder 
weniger   allgemein   akzeptierten   Entscheidungen   führen   können.   Auch 
solchen   Entscheidungen   wird   Legitimation   zugeschrieben,   was   nur 
bedeuten   kann,   dass   die   Verfahren,   die     zu   solchen     Entscheidungen 
führen, ebenfalls als legitim angesehen werden. Luhmann stellt allerdings 
fest, dass es nur wenige Ansatzpunkte in den bisherigen Erörterungen von 
Legitimität   gibt,   die  diese  Problematik   verständlich   machen   würden.  Am 
ehesten   sieht   er   eine   Möglichkeit   der  Annäherung   über   den   Begriff   der 
rationalen Legitimität bei Max Weber.40 
Obwohl nach Luhmanns Ansicht der Erklärungsansatz von Legitimität also 
nicht   ausreichend   gesichert   ist,     gehört   seines   Erachtens  „(…)   die 
Fraglosigkeit   legitimer   Geltung   bindender   Entscheidungen   zu   den  
typischen Kennzeichen des modernen politischen Systems (…)“41. Insofern 
geht es für ihn tatsächlich nicht mehr darum, zu beweisen, dass als legitim 
angesehene Entscheidungen getroffen werden, sondern vielmehr um die 
Frage  wie  diese   als   legitim   angesehenen   Entscheidungen   getroffen 
werden,  also  wie  es  möglich  ist,  Entscheidungen,  die  in einem  zumeist 
nicht   perfekten   Verfahren   gefällt   werden,   mit   Legitimation   zu   versehen. 
Luhmann   geht   nicht   davon   aus,   dass   das   durch   historische   oder 
naturrechtliche   Herleitungen   ausreichend   geleistet   werden   kann.   „Bei 
hoher   Komplexität   und   Variabilität   des   Sozialsystems   der   Gesellschaft  
kann   die   Legitimation   politischer   Macht   nicht   mehr   einer   naturartig  
39 LdV, S. 28
40 Hier kommt Luhmann zu dem Schluss, dass gerade die Legitimitätsbegriffe von Weber, obwohl 
gerade sie häufig verwendet und zitiert werden, nur wenig soziologischen Tiefgang haben. (vgl. 
S. 28f.; sowie Fußnote 5 auf Seite 29)
41 LdV, S. 29
Nicolai Grossherr
11

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
vorgestellten Moral überlassen, sondern muß im politischen System selbst  
erarbeitet werden.42 
Um   die   moderne   Gesellschaft   adäquat   beschreiben   zu   können   ist   es 
notwendig, die älteren Erklärungsansätze hinter sich zu lassen und sich an 
neuen,   den   Umständen   angepassten   Ansätzen   zu   versuchen.   Diesen 
Zeitpunkt hält Luhmann für gekommen, und einen spezifischen Teil dieser 
Neuinterpretation   leistet   sein     Verständlichmachen   der   Legitimität   von 
Verfahren.
Gerade   die   neue   Interpretation   des   Begriffs   Legitimität   macht   es 
notwendig, diesen weiter gehend zu definieren. Hierzu zählt insbesondere 
die   Unterscheidung   zwischen   den   Voraussetzungen   für   Entscheidungen 
und   den   Entscheidungen   an   sich.   So   stellt   Luhmann   fest,  „am 
Legitimitätsbegriff muss zunächst deutlich unterschieden werden zwischen  
Akzeptieren   von   Entscheidungsprämissen   und   Akzeptieren   von 
Entscheidungen   selbst.“43  Grundsätzlich   gilt   hier   eine   Dualität   von 
Begriffen,   insofern   als   das  Akzeptieren   immer   auch   das   Ablehnen   als 
Möglichkeit   impliziert.   Weiterhin   ist   zu   beobachten,   dass   diese   Dualität 
sowohl   auf   die   Prämissen   als   auch   auf   die   Entscheidungen   selbst 
angewendet werden kann. Prinzipiell besteht die Möglichkeit, im Rahmen 
des Entscheidungsgerüstes, das   aus der zu Grunde liegenden Prämisse 
und aus der auf die Prämisse folgenden Entscheidung besteht, nur einen 
Teil davon zu akzeptieren, was die Betrachtung von Legitimation erschwert, 
da immer beide Bestandteile des Entscheidungs-gerüstes ins Auge gefasst 
werden müssen.   Zu lösen ist das Problem dadurch, dass die Prämisse in 
einem anderen, vorhergehenden Verfahren festgelegt wird. In  Bezug auf 
die zu beurteilende Entscheidung ist davon auszugehen, dass Prämisse 
und Entscheidung einher gehen; sollte das nicht der Fall sein, muss das 
Verfahren   zur   Prämissefindung   erneut   ablaufen   und   sich   die   Prämisse 
dementsprechend  ändern. Festzuhalten ist, dass die Prämisse bei dieser 
42 LdV, S. 30
43 LdV, S. 31
Nicolai Grossherr
12

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Auffassung   fester   Bestandteil     des   Entscheidungsverfahrens   ist.   Das 
Akzeptieren   setzt   die   Anerkennung   der   Prämisse   implizit   voraus.  „Die 
Schwierigkeiten  verlagern   sich   mit   dieser  Definition   auf   den  Begriff   des  
Anerkennens oder Akzeptierens.“44 
Luhmann ist davon überzeugt, dass die Begriffe bisher zu eng verwendet 
werden, da sie besonders auf die Richtigkeit von Prinzipien und Inhalten 
abzielen.   Darin   sieht   er   eine   gewisse   Nähe   zu   den  Auffassungen   der 
klassischen   Konzeptionen   des   Verfahrens.  Allerdings   ist   er   auch   hier   – 
ähnlich wie in Bezug auf die Wahrheit – der Meinung, dass das ein zu hoch 
gegriffener   Maßstab   ist,   der   mehr   oder   weniger   zwangsläufig   nicht 
eingehalten werden kann, so dass das Scheitern quasi vorprogrammiert ist. 
Dieses   Scheitern   lässt   sich   durch   Generalisierung   vermeiden.  „Jene 
Auffassungen [die einen allzu normativen Maßstab setzen; N.G.] verkennt  
die   hohe   Komplexität,   Variabilität,   Widersprüchlichkeit   der   Themen   und  
Entscheidungsprämissen,   die   im   politisch-administrativen   System  
moderner   Gesellschaften   jeweils   behandelt   werden   müssen.   Dieser 
Komplexität moderner Gesellschaften kann nur durch Generalisierung des  
Anerkennens von Entscheidungen Rechnung getragen werden.45
In   der   Folge   ist   es   notwendig,     die   Begriffe   des  Akzeptierens   und   des 
Anerkennens   näher   zu   betrachten.   Unstrittig   ist,   dass   Individuen 
Entscheidungen aus dem Sozialsystem übernehmen, in Anpassung an die 
eigene   individuelle   Erwartungs-struktur.   Luhmann   ist   weniger   daran 
gelegen,   dem   Mechanismus   dieser   Veränderung   der   Erwartungsstruktur 
auf den Grund zu gehen. Ihm geht es mehr darum,   festzustellen, dass 
dieser Vorgang der Anpassung eine nicht zu bestreitende Realität ist und 
es   sich   dabei   um   einen   Lernprozess   handelt.  „Jedenfalls   liegt   der 
Anerkennung   ein   Lernprozeß   zugrunde,   eine   Änderung   der   Prämissen, 
nach   denen   der   einzelne   weiterhin   Erlebnisse   verarbeiten,   Handlungen  
44 LdV, S. 32
45 LdV, S. 32
Nicolai Grossherr
13

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
auswählen,   sich   selbst  darstellen   wird.46  Das   erfolgreiche   oder   nicht 
erfolgreiche   Lernen   kann   Verfahren   des   Entscheidens   erleichtern   oder 
erschweren.   Dabei   ist   nicht   zu   übersehen,   dass  der   Lernprozess   im 
sozialen Kontext geschieht.  „(…) Lernen kann nicht vom einzelnen allein  
geleistet   werden,   nicht   ohne   soziale   Unterstützung   geschehen.47  Der 
Grund hierfür ist, dass der Mensch sich seiner selbst in seinem sozialen 
Umfeld bewusst sein muss. Bei Nichtbeachtung dessen wäre entweder das 
Individuum   oder   das   soziale   System   empfindlich   gestört,   ein   in   beiden 
Fällen     nicht   dauerhaft   aufrecht   zu   erhaltender   Zustand,   so   dass   im 
Normalfall eine Anpassung entweder des Individuums oder des Systems 
erfolgt.   Luhmann   ist   weiterhin   überzeugt,   dass   nur   unter   diesen 
Voraussetzungen Legitimität von Verfahren analysierbar wird. Denn  „nur 
wenn man die Bindung des Legitimitätsbegriffs an die persönlich geglaubte  
Richtigkeit   der   Entscheidungen   aufgibt,   kann   man   die   sozialen  
Bedingungen der Institutionalisierung von Legitimität und Lernfähigkeit in  
sozialen Systemen angemessen untersuchen.48 
 2.2.2 
Zwischenfazit
Es   zeigt   sich,   dass   man   bei   voranschreitender   Diskussion   schnell   die 
Grenzen des jeweiligen Verfahrens überschreiten könnte. Das ist zwar eine 
interessante   Perspektive,   aber   eine   solche   Erweiterung   würde   den 
Rahmen   der   Betrachtung   sprengen.  „Uns   interessiert   daher   primär   der 
Beitrag   zur   Legitimation   der   Entscheidungen,   den   das   entscheidende  
System selbst erbringen kann.49
Diesbezüglich ist es jedoch notwendig, bestehende Moralvorstellungen zu 
überdenken. Angesichts der Tatsache, dass althergebrachte Vorstellungen 
zumeist   außerhalb   des   jeweiligen   Systems   angesiedelt   und   somit   dem 
46 LdV, S. 33
47 LdV, S. 34
48 LdV, S. 34
49 LdV, S. 36
Nicolai Grossherr
14

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Zugriff weitgehend entzogen sind, ist dieser Schritt unumgänglich, geht es 
doch   auch   um   die   Erörterung   der   Möglichkeit,   dass   sich   spezifische 
Verfahrenssysteme durch ihre Inhalte selbst legitimieren.
Dabei   wird   auf   die   oben   genannten   Merkmale   von   Machtmechanismen 
zurückgegriffen,   auf   Konsens   und   Zwang.   Beide   Merkmale   treten   im 
Rahmen des politisch-administrativen Systems auf, speziell wenn sich die 
Erarbeitung   der  Systematik   auf   moderne   Gesellschaften   bezieht.   Unter 
Berücksichtigung dieser neuen Systematik von Legitimation wird deutlich, 
dass der Begriff der Legitimität  weiter gefasst werden muss. Ein wichtiger 
Bestandteil ist dabei der Vorgang des Akzeptierens oder Anerkennens, der 
nur als soziales Lernen verstanden werden kann, als ein im Spannungsfeld 
zwischen   Individuum   und   Verfahrenssystem   ablaufender   Lernprozess. 
„Demnach geht es bei der Legitimation von Entscheidungen im Grunde um  
ein effektives, möglichst störungsfreies Lernen im sozialen System.“50 
Der nächste Schritt ist, aus den bisherigen Erkenntnissen eine Systematik 
abzuleiten. Dahinter steht der Grundgedanke, dass sich Verfahren auf der 
erarbeiteten Basis als eigenständiges soziales System beschreiben lassen.
 2.2.3 
Verfahren als soziales System 
„(…) Das Verfahren lässt sich als ein soziales Handlungsystem besonderer 
Art   begreifen.51  In   ihm   sind   die   Elemente   Handlung,   Situation   und 
Beziehung   als   integrale   Teile   des   Systems   enthalten,   jedoch   ist   das 
Verfahren   keine   festgelegte   Abfolge   dieser   Elemente.  „Eine   solche 
Auffassung   würde   das   Verfahren   als   Ritual   begreifen   (…).52  Zwar 
reduzieren auch Rituale die Komplexität von Handlungszusammenhängen, 
so dass sie gewisse Ähnlichkeit zu Verfahren aufweisen, dennoch sind sie 
damit nicht identisch. Kennzeichnend für Rituale ist deren alternativloser 
Ablauf, hingegen zielen Verfahren darauf ab, in ihrem jeweiligen Rahmen 
50 LdV, S. 35
51 LdV, S. 38
52 LdV, S. 38
Nicolai Grossherr
15

Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
ergebnisoffen zu sein, das ist der signifikante Unterschied zwischen den 
beiden   Mechanismen.   Dennoch   gilt:   "ohne   Zweifel   nehmen   öffentliche 
Verfahren   ritualisierte   Elemente   in   sich   auf53,   aber   –   und   das   ist 
maßgeblich – nur als ein  Bestandteil des Verfahrensprozesses. 
In   Bezug   auf   das   Verfahren   lässt   sich   sagen,   es   läuft   ab  „als   eine 
Entscheidungsgeschichte,   in   der   jede   Teilentscheidung   einzelner  
Beteiligter   zum  Faktum   wird,   damit   den   anderen   Beteiligten 
Entscheidungsprämissen   setzt   und   so   die   gemeinsame   Situation 
strukturiert,   aber   nicht   mechanisch   auslöst,   was   als   nächstes   zu 
geschehen hat.54
Das   Besondere   an   der   Deutung   des   Verfahrens   als   System   ist,   dass 
dadurch der prozessuale Charakter im systemischen aufgeht, also Prozess 
und   System   nur   als   gemeinsames   Ganzes   verstanden   werden   können. 
„Prozesse sind Systeme und haben eine Struktur; anders können sie nicht  
Prozesse  sein,  und  anders  können   auch   Systeme   und   Strukturen  nicht  
sein.55  Verfahren   sind   spezifische   Subsysteme,   die   ihre   Strukturen 
zunächst   von   allgemeinen   Regeln   und   Normen   für   Verfahren   sowie 
übergeordneten   Systemen   ableiten.   Allerdings   zeichnen   sich   Systeme 
jeweils durch ihr Verhältnis zur Welt aus und haben insofern auch einen 
jeweils   eigenen   Bezug   zur   Komplexität   der   Welt.   So   ist  „für   jede 
Systembildung (…) bezeichnend, daß sie nur einen Ausschnitt der Welt 
erfaßt,   nur   eine   begrenzte   Zahl   von   Möglichkeiten   zulässt   und  
verwirklicht.56  Damit   wird   ein   Schritt   der   Reduktion   von   Komplexität 
vollzogen,   in   der   Folge   wird   dadurch   das   Entscheiden   in   spezifischen 
Situationen vereinfacht, da für das jeweilige System eine Beschränkung 
der Möglichkeiten vorgenommen wurde. „Verfahren sind in der Tat soziale 
Systeme,  die eine  spezifische  Funktion erfüllen,  nämlich eine  einmalige  
verbindliche Entscheidung zu erarbeiten, und dadurch von vornherein in  
53 LdV, S. 39
54 LdV, S. 40
55 LdV, S. 41
56 LdV, S. 41
Nicolai Grossherr
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Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
ihrer Dauer begrenzt sind.57
Obwohl das im letzten Absatz Erläuterte schon einen erheblichen Einfluss 
auf die Komplexitätsreduktion von Verfahren hat, sieht Luhmann darin nur 
einen   kleineren   Teil   dieses   Effekts   ausreichend   zur   Geltung   gebracht. 
„Strukturvorgabe und Definition konkret erkennbarer Systemgrenzen sind 
nicht   die   einzigen   und   für   unser   Problem   nicht   die   wichtigsten  
Reduktionsweisen.58  Er kommt zu dieser Einschätzung, da Struktur und 
Teilsystem für ihn Eigenschaften darstellen, die jedes Verfahrenssystem – 
und mit Ausnahme des alles umfassenden Gesamtsystems jedes System 
überhaupt     –   auszeichnen.   Es   handelt   sich   dabei   also   nicht   um 
notwendigerweise   spezifische   Funktionszuschreibungen,   so   dass   es   für 
Luhmann weitergehende Spezifika geben muss. Diese sind folglich noch 
spezieller und haben noch weiter gehende Auswirkungen hinsichtlich der 
reduzierenden Wirkung auf die Komplexität. Es handelt sich um die oben 
erwähnte Entscheidungsgeschichte, die im weiteren Verlauf mit dem Begriff 
Verfahrensgeschichte fortgeführt wird. Dabei verhält es sich so, dass durch 
die Interpretation des Verfahrens als soziales System die Entstehung einer 
Verfahrensgeschichte   begünstigt   wird,   denn  
 „um   eine   eigene 
Verfahrensgeschichte   herstellen   zu   können,   muss   das   Verhalten   der  
Beteiligten im Verfahren wählbar und damit auch zurechenbar sein.59 Das 
Verhalten orientiert sich an den verfahrensspezifischen strukturellen und 
funktionalen Eigenheiten. Dadurch dass Verhalten und Handlungen zeitlich 
ablaufen   (Aktion   und   Reaktion),   entsteht   eine   Vergangenheit   und   somit 
eine   Geschichte,   die  einzig   und   allein   dem  einen   Verfahren   zugeordnet 
werden   kann.
 „Die   Verfahrensgeschichte   dient   dabei   als 
Strukturäquivalent,   sie   sondert   nämlich   dieses   eine   Verfahren   für   eine  
Weile ab als ein besonderes System, in dem nicht mehr alles möglich ist, 
was   in   der   Welt   sonst   möglich   wäre.60  Genauer   gesagt,   in   dem   nicht 
57 LdV, S. 41
58 LdV, S. 43
59 LdV, S. 44
60 LdV, S. 44
Nicolai Grossherr
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Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
einmal mehr möglich ist, was in ähnlichen, d.h. in (allgemeiner) Struktur 
und Teilsystemzugehörigkeit gleichen, Verfahren möglich wäre.
 2.2.4 
Fazit
Durch   die   Anwendung   der   Systemtheorie   auf   die   Betrachtung   von 
Verfahren konnte die Konzeption von Verfahren ins Soziologische gezogen 
werden.   Weiterhin   wurde   deutlich,   inwiefern   diese   der   Soziologie 
zugehörige   Betrachtungsweise   von   Vorteil   sein   kann.   Es   ist   als 
weiterführender Ausblick in Betracht zu ziehen, dass insbesondere zwei 
(soziologische) Ebenen durch die neue Konzeption des Verfahrens näher 
definiert und untersucht werden können, nämlich die Verhaltens- und die 
Rollenebene.61 Durch die Einschränkung auf verfahrenstypische Ebenen ist 
Selektion   von   Information/Wissen   und   Handlungen/Entscheidungen 
möglich.  „Gerade   diese   Absorption   von   Ungewißheit   durch   selektive 
Schritte   macht   den   Sinn   des   Verfahrens   aus,   macht   eine   Abgrenzung  
gegenüber   der   Umwelt   nicht   verfahrenszugehöriger   Informationen 
erforderlich   und   bedingt   eine   gewisse   Autonomie   des 
Entscheidungsvorgangs“62,   so   dass    „die   relative   Autonomie   des 
Verfahrens   auf     Verhaltens-   und   auf   Rollenebene   (…)   zur   sozialen  
Generalisierung   des   Ergebnisses   bei[trägt;   N.G.].63  Die   dem   Verfahren 
innewohnende Generalisierung ist nicht denkbar ohne das dem Verfahren 
zuzuordnende soziale Lernen. Über diesen Lerneffekt ist – wie im Abschnitt 
zur   Legitimität   herausgearbeitet   wurde   –   Legitimation   überhaupt   erst 
möglich geworden; insbesondere in Bezug auf das Lernen im spezifischen 
Verfahren   und   somit   der   gewissermaßen   sich   selbst   legitimierenden 
Funktion   desselben.   Rückbezüglich   auf   die   beiden   dem 
Machtmechanismus innewohnenden Elemente Zwang und Konsens lässt 
sich   feststellen,   dass   diese   als   Kooperation   und   Konflikt   innerhalb   des 
61 Vgl. LdV, S. 47ff.
62 LdV, S. 47
63 LdV, S. 49
Nicolai Grossherr
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Herleitung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Verfahrenssystems   auftreten.  „Dabei   wird   zwischen   Kooperation   und 
Konflikt durch die Struktur des Systems nicht vorentschieden. Sie eignet 
sich   zu   beidem.   (…)   Typisch   verschmelzen   Verfahren   (…)   beide  
Funktionen.64
Letztlich ist zu resümieren, dass sowohl die Übertragung der Konzeption 
von Verfahren in das Soziologische als auch der dadurch in Erscheinung 
tretende   legitimierende   Charakter   verständlich   gemacht   worden   sind. 
Dadurch ergeben sich vollkommen neue Möglichkeiten in der Analyse von 
Verfahren,   aber   auch   im   Verständnis   davon   wie   das   jeweilige 
Einzelverfahren   in  den   Kontext   seines   Umfeldes   eingebettet   ist.  „Soviel 
läßt   sich   für   Verfahren   schlechthin   ausmachen.  Als  Angelpunkt   für   das 
Verständnis von Struktur, Funktionen und Antrieb und für das Begreifen  
ihres   inneren   Zusammenhanges   dient   uns   die   Vorstellung   einer  
begrenzten, systemeigenen Komplexität des Verfahrens.65
 3  Schlussbetrachtung
Ziel   der  Arbeit   war,   die   Legitimation   durch   Verfahren   als  Analyseansatz 
verständlich zu machen. Das ist meines Erachtens nach gelungen, speziell 
im   Hinblick   auf   die   Herleitung   des   Ansatzes   ist   vieles   deutlich 
herausgearbeitet   worden.   Das   betrifft   sowohl   die   Erörterung   des 
Verfahrens(-systems)   als   auch     dessen   Umfeld,   speziell   unter   den 
Gesichtspunkten   der   Strukturweitergabe   sowie   der   System-Subsystem-
Systematik. So wurde es möglich, die Gleichzeitigkeit von Trennung und 
Zusammenhang   des   Verfahrenssystems   schlüssig   darzustellen.   Die 
isolierte Betrachtung des Verfahrens als eigenständiges soziales System 
wiederum   eignet sich zur Ableitung des Analyseansatzes. Allerdings ist 
festzuhalten, dass diese Arbeit nur Anhaltspunkte für den Analyseansatz 
herausarbeiten konnte, zumal es notwendig war, zuerst ein Verständnis für 
64 LdV, S. 50
65 LdV, S. 52
Nicolai Grossherr
19

Schlussbetrachtung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
die   Problematik   zu   entwickeln,   aber   auch   auf   Grund   des   beschränkten 
Umfanges. 
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die klassischen Konzeptionen als 
ungeeignet für den Zweck der Analyse diskreditiert sind, einerseits wegen 
ihrer   fehlenden   Subjektbezogenheit   und   andererseits   wegen   ihrer 
einseitigen Orientierung auf den Wert der Wahrheit. Daraus ergab sich für 
Luhmann   die   Notwendigkeit   der   Neuinterpretation.   Sie   führte   zu   der 
Erkenntnis,   dass   nicht   die   Wahrheit   die   Kernfunktion   von   Verfahren   ist, 
sondern das Entscheiden. Die Wahrheit hat andere Funktionen, etwa das 
Sicherstellen   des   subjektiven   Bezugs   zum   Verfahren.   Daraus   wiederum 
ließ   sich   ableiten,   dass   Verfahren   immer   auch   mit   Machtfragen   im 
Zusammenhang stehen.  Durch die Betrachtung der Machtfrage und  der 
Frage   nach   Legitimität   wurde   deutlich,   dass   gerade   auch   das 
entscheidende   System   selbst   einen   Beitrag   zur   Legitimation   leistet.   Ein 
weiterer wichtiger Gesichtspunkt war die Erkenntnis, dass Verfahren als 
Lernprozess   im   sozialen   System   verstanden   werden   können.   Dadurch 
wurde klar, dass Verfahren tatsächlich als eigenständige  soziale Systeme 
aufgefasst und beschrieben werden können, was als systemtheoretische 
Deutung von Verfahren zu begreifen ist. Es wurde hervor gehoben, dass in 
diesem   Verständnis   die   klare   Trennung   zwischen   Prozess-   und 
Systemvorstellung aufgegeben werden muss. So lässt sich schließlich der 
Prozess des sozialen Lernens als Verfahrensprozess sehen und dieser als 
integraler Bestandteil des Systems Verfahren. Dabei handelt es sich um 
den   ersten   Schritt   der   Reduktion   von   Komplexität,   wobei   das   beim 
Verfahren   ein   System   mit   spezifischen   Funktionen   ist.   Der   zweite   und 
wichtigere,   weil   klarer   abzugrenzende     Schritt   wird   durch   die 
Verfahrensgeschichte   vollzogen.   Deren   Erläuterung   hat   gezeigt,   dass 
(Einzel-)Verfahren als jeweils einzigartig anzusehen sind, kein Verfahren 
gleicht dem anderen, trotz der übergeordneten Gemeinsamkeiten.
Es   ergeben   sich   verschiedene   Analyseperspektiven:   Die   Analyse   des 
Nicolai Grossherr
20

Schlussbetrachtung
Legitimation durch Verfahren als Analyseansatz
Verfahrens in seinem Umfeld, die Analyse von Verfahrenstypen sowie die 
Einzelfallanalyse von Verfahren. Dabei ermöglicht der systemische Ansatz 
auch   Kombinationen   dieser   Analysen,   was   allerdings   zu   einer 
Komplizierung führen würde. Deshalb sollte es am Anfang wohl eher um 
die   Ausarbeitung   der   einzelnen   Analyseansätze   gehen,   insbesondere 
bezüglich der konkreten Analyse von Einzelfällen. 
Bei   der   vorliegenden   Arbeit   ging   es   speziell   um   eine   einführende 
Betrachtung   der   Analyseansätze,   die   sich   aus   Niklas   Luhmanns   Buch 
„Legitimation   durch   Verfahren“   ergeben.   Dabei   wurden   zwar   wichtige 
Punkte herausgearbeitet. Sie werfen jedoch mehr Fragen auf als in diesem 
Rahmen beantwortet werden konnten. 
Nicolai Grossherr
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   Bibliographie 
Luhmann, Niklas (1983): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt am Main: 
Suhrkamp. 
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